
Bislang war höchstrichterlich noch nicht entschieden, wann der besondere Kündigungsschutz nach § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG im Falle einer künstlichen Befruchtung eingreift. Hiernach ist eine ohne behördliche Zustimmung ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Für den Beginn der Schwangerschaft ist das Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme maßgebend, entsprechend beurteilt sich auch der Beginn des Sonderkündigungsschutzes. Das BAG hatte nun kürzlich die Frage zu klären, ob bei einer künstlichen Befruchtung der Zeitpunkt der Einsetzung der befruchteten Eizelle oder erst der Zeitpunkt der erfolgreichen Einnistung entscheidend sei.
Im Ergebnis entschieden die Erfurter Richter, dass der Schutz des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG schon mit der Einsetzung der Eizelle beginne (BAG, Urteil vom 26. März 2015 – 2 AZR 237/14).
Die Klägerin war als eine von zwei Angestellten bei dem Beklagten beschäftigt. Mitte Januar 2013 teilte sie dem Beklagten mit, dass sie seit mehreren Jahren einen bisher unerfüllten Kinderwunsch hege und ein erneuter Versuch einer künstlichen Befruchtung anstehe. Der Embryonentransfer erfolgte am 24. Januar 2013. Am 31. Januar 2013 sprach der Beklagte – ohne behördliche Zustimmung – eine ordentliche Kündigung aus. In der Folge besetzte er die Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin. Am 7. Februar 2013 wurde bei der Klägerin eine Schwangerschaft festgestellt. Hierüber informierte sie den Beklagten am 13. Februar 2013.
Das BAG hält die Kündigung für unwirksam und gab der Klage statt. Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung wegen des zuvor erfolgten Embryonentransfers den besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Zudem läge kumulativ ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG iVm. §§ 1, 3 AGG vor. Diesbezüglich stützt sich das BAG auf den Europäischen Gerichtshof, der bereits entschieden hatte, dass eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliegen könne, wenn eine Kündigung hauptsächlich wegen einer Behandlung zur In-vitro-Fertilisation ausgesprochen werde (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2008 – C-506/06).